
Wie überbringt man Hiobsbotschaften?
Was können Manager von Ärzten lernen, wenn es hoffnungslose, unumkehrbare Krisensituationen gibt, die keine Besserung versprechen? Wie kommunizieren Menschen akute Krisen mit Empathie und radikaler Ehrlichkeit und vor allem mit Respekt und Würde?
42 Kapitel umfasst das „Buch Hiob“ im Alten Testament. Es erzählt von einem einst wohlhabenden Mann namens Hiob, den Gott auf seinen Glauben und seine Standfestigkeit mit allerlei schlechten Nachrichten über Katastrophen und Schicksalsschlägen prüft. Hiob verliert nicht nur seinen Reichtum, sondern seine Familie und am Ende auch seine eigene Gesundheit. Und dennoch hält er an seiner Treue zu Gott fest und wird dafür belohnt. Leider enden im irdischen Leben solche Hiobsbotschaften nur selten mit einem Happy End. Schlechte Nachrichten bleiben schlechte Nachrichten.
Überbringer schlechter Botschaften leben gefährlich
Aus der Antike wird überliefert, dass die Überbringer schlechter Botschaften nicht selten ihr Leben verloren. So, als wollte der Adressat der Nachricht nicht nur die Annahme verweigern, sondern deren Existenz gleich mit ausradieren. Vielleicht erklären solche Geschichten als Teil unseres kollektiven Gedächtnisses, warum es Menschen bis heute so schwerfällt, die eigene Botenrolle für schlechte Nachrichten anzunehmen. Wenn Krisen das neue Normal sind, dann müssen wir diese extreme Form der Krisenkommunikation lernen und durchstehen. Wie kann dies gelingen?
Hiobsbotschaften in Unternehmen
In modernen Organisationen mit perfekt gemanagten Prozessen kommt es immer wieder zu Ereignissen, die tiefgreifende, negative Konsequenzen für die Belegschaft, die Kunden und andere Stakeholder haben:
- Massenentlassungen oder Standortschließungen
- Der Tod eines Menschen z.B. in Folge eines Unfalls
- Insolvenz oder drohende Zahlungsunfähigkeit
- Management-Skandale und strafrechtliche Ermittlungen
- Der Verlust der Betriebserlaubnis und die dadurch ausgelöste Panik
- Der Zusammenbruch einer Wertschöpfungskette
- Imageverlust durch Gerüchte und Boykottaufrufe
- Totalausfall nach einem Hackerangriff
Auch wenn die Überbringer schlechter Botschaften sich nicht mehr sorgen müssen, ihren Kopf zu verlieren. So müssen sie dennoch unangenehme Fragen über sich ergehen lassen (Beispiele):
- Warum wissen gerade Sie von dem Problem bzw. was haben Sie damit zu tun?
- Seit wann haben Sie davon gewusst?
- Was haben Sie dagegen persönlich unternommen?
- Warum haben Sie dies nicht schon sehr viel eher gemeldet?
Mit Empathie Fehler beim Überbringen schlechter Nachrichten vermeiden
Angesichts dieser höchstpersönlichen Risiken versuchen die Überbringer schlechter Nachrichten immer wieder Katastrophenmeldungen in weniger brisante Botschaften weich zu verpacken. So, als wollte man einem Patienten dessen bittere Medizin mit einem Stück Würfelzucker servieren. Im Unternehmenskontext kann der am Ende spürbare Beigeschmack jedoch trotzdem negative Reaktionen provozieren.
Viele Manager haben gelernt, bei der Suche nach der Krisenursache nach einem verantwortlichen Sündenbock zu suchen. Je weniger das Unternehmen geübt ist mit Fehlern umzugehen, desto schwieriger und langwieriger wird sich die Suche nach Ursachen und Verantwortlichen und damit auch die Wahl einer adäquaten Therapie gestalten.
Es gibt noch viele andere, weniger offensichtliche Fettnäpfchen bei einer solchen Form der Krisenkommunikation. Um zu verstehen, was in einer solchen Situation richtig oder falsch ist, müssen wir uns empathisch in die Lage des Empfängers einer Hiobsbotschaft versetzen:
- Small Talk: Hiobsbotschaften sind nicht nur dringlich, sondern auch wichtig. Wer wissen will, worauf es jetzt wirklich ankommt, möchte nicht, dass sein Gegenüber um den heißen Brei redet.
- Schönreden: Manager brauchen sichere Entscheidungsgrundlagen, keine subjektiven Meinungen. Jede Form der persönlichen Bewertung, sei es eine Bagatellisierung, falsche Versprechen oder eine übertriebene Dramatisierung, verfälscht das Lagebild und erhöht das Risiko von Fehlentscheidungen.
- Salamitaktik: Wer schlechte Nachrichten in unendlich kleinen, zeitlich versetzten Häppchen serviert, tut den Betroffenen nichts Gutes. In der Krisenkommunikation geht es nicht um einen Spannungsaufbau, wie wir ihn aus der Choreografie einer Oper kennen. Menschen erwarten Transparenz und dass die Informationen vollständig, unmittelbar und korrekt sind.
- Stressmaximierung: Hiobsbotschaften lösen Emotionen aus. Wer von Stresshormonen überflutet wird, braucht Zeit, um eigene Gedanken zu sortieren und die passenden Worte zu finden. Wer in solchen Fällen (auch bei bester Absicht) drauflosredet, zeigt wenig Empathie und reduziert Menschen zu reinen Informationsempfängern.
- Sinnlosigkeit: Krisen werfen Fragen auf, mit denen wir uns bislang nicht bzw. unzureichend auseinandergesetzt haben. „Warum? Warum ich…? Und wie geht es jetzt weiter“ Die Betroffenen suchen nach „Licht am Ende des Tunnels.“ Wer sich ohne Perspektive und Anteilnahme aus einem akuten Krisengespräch stehlt, entzieht sich seiner Verantwortung und hinterlässt einen noch größeren Schaden.
Die SPIKES-Methode
Um die eigenen Gedanken und Worte als Bote auch unter massivem Stress zu ordnen und professionell kommunizieren zu können, hilft ein einfach reproduzierbares Schema. SPIKES ist ein Akronym und steht für ein aus sechs Bausteinen bestehendes Modell, um schlechte Nachrichten zu übermitteln. Ursprünglich wurde es für Ärzte in der Kommunikation mit Patienten entwickelt:
- S = Setting up the interview (Rahmen schaffen)
- Sorgen Sie für ein geschütztes, ruhiges Umfeld. Auf keinen Fall mit einer schlechten Nachricht schockartig herausplatzen.
- Keine Ablenkungen (Handy aus, nicht im Vorbeigehen).
- Klärung: Wer sollte dabei sein? Gibt es emotionale Unterstützung?
- P = Perception (Wahrnehmung erfragen)
- Was weiß die Person schon?
- Woran glaubt sie gerade?
- Fragen Sie nach dem aktuellen Wissensstand: „Was wissen Sie bisher über die Situation?“
- I = Invitation (Einladung zur Information)
- Ermitteln Sie, wie viel jemand wissen will: „Möchten Sie, dass ich Ihnen jetzt alles erkläre?“ Manche Betroffenen wollen nur etappenweise hören, andere alles auf einmal.
- Radikale Ehrlichkeit heißt, dass man die Dosierung und das Timing trotzdem individuell anpassen muss. Wichtig ist, dass man keine voreiligen Versprechen macht, die kurz danach zurückgenommen werden müssen.
- K = Knowledge (Information geben)
- Jetzt die schlechte Nachricht mitteilen – klar und ruhig. Nicht weiter warten.
- Keine Fachsprache, kein Ausweichen. Dafür kurze, einfache Sätze.
- Beispiel: „Die Untersuchung hat ergeben, dass…“ oder „Wir sind gezwungen, den Standort zu schließen…“
- Danach eine Pause lassen – schweigen aushalten. D.h. fokussieren Sie sich auf die Kernbotschaft. Versuchen Sie nicht Ihr gesamtes Wissen auf einmal abzuladen, weil dies den Gesprächspartner überfordert. Es ist wichtig zu sehen, dass die Botschaft wirklich angekommen ist, bevor weitere Details genannt werden.
- E = Emotions (Emotionen auffangen)
- Reaktionen zulassen: Wut, Tränen, Rückzug.
- Empathisch bleiben: „Ich sehe, dass das schwer zu hören ist.“
- Nicht belehren oder relativieren. Sätze wie „Das wird schon wieder“ unbedingt vermeiden!
- S = Strategy and Summary (Weitermachen, Planen der Next Steps)
- Was passiert jetzt?
- Wer unterstützt?
- Klarer nächster Schritt: „Ich bleibe in Kontakt, wir besprechen dann gemeinsam…“
Gerade der letzte Punkt zeigt, dass eine Hiobssituation nicht mit einer singulären Meldung vorbei ist. Vielmehr muss sich der Bote auf Rückfragen vorbereiten. Und immer wieder ist den Menschen Raum für ihre Gefühle zu geben: Zuhören und reden lassen. Der Druck durch den Mangel an Wissen muss ausgehalten werden. Auf keinen Fall darf der Übermittler einer Krisennachricht selbst zu spekulieren anfangen.
Dass man hierbei die gesamte Zeit ernst bleibt und nicht versucht durch Humor und Ironie eine Situation aufzulockern, erklärt sich von alleine.
Denken Sie bitte auch an sich selbst und planen Sie eine Nachbereitung bzw. ein Debriefing mit einer Person ein, der Sie vertrauen. Wer zu lange selbst in einen Abgrund schaut, der wird irgendwann auch von dem Abgrund angesehen.
Last but not least muss man sich darauf einstellen, dass der Überbringer der Nachricht beim Reden unterbrochen wird und ein Gespräch unterschiedliche Verläufe nehmen kann. All dies muss man trainieren. Und selbst Profis simulieren schwierige Situationen. Falls auch bei Ihnen eines Tages so eine Hiobsbotschaft ansteht, dann nehmen Sie sich die Zeit alles zu durchdenken. So zeigen Sie Respekt und die Betroffenen behalten ihre Würde. Falls Sie hierfür Unterstützung oder eine zweite Meinung suchen, stehen Ihnen die Experten von MEMOCINE jederzeit an Ihrer Seite.