Paradigmenwechsel nach dem Corona-Lockdown

Paradigmenwechsel nach dem Corona-Lockdown

Paradigmenwechsel nach dem Corona-Lockdown

  • Von Markus Lempa
  • Am 3. März 2021
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Stell Dir vor, der Corona-Lockdown wäre aufgehoben. Und was dann? Bei der Entwicklung eines Masterplans für die Coronakrise sprechen wir nicht mehr von einem traditionellen Planungshorizont von einem bis drei Jahren. Wir müssen weit über den Zeitraum hinausdenken, der für den Aufbau einer Herdenimmunität notwendig sein wird. Wegen immer neuer Corona-Mutationen werden wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Und wegen des gewaltigen Schuldenberges dürfte trotz der erhofften Nachholeffekte in der Wirtschaft eher eine zehnjährige Dauerbaustelle vor uns liegen. Statt Mikroplanungen mit kurzfristigen Erfolgen ist es daher sinnvoller, von Anfang an die strategische Prioritäten und Meilensteine zu erkennen sowie Optionen und Handlungsfreiräume systematisch zu erweitern. Wer als Führungskraft gelernt hat zu improvisieren, wird dabei im Wettbewerb der Zukunft die Nase vorne haben.

 

Was kommt nach dem Pandemieplan?

Von Augustinus stammt der Satz: „Tue erst das Notwendige. Dann das Mögliche und plötzlich schaffst Du das Unvorstellbare.“ Das Notwendige umfaßt die „Ersten Hilfe“ Maßnahmen gemäß Pandemieplan, die jedes Unternehmen inzwischen eingeleitet haben sollte:

  1. Gesundheitliche Sofortmaßnahmen und räumliches Schutzkonzept für jeden Arbeitsplatz sowie Kunden-Touchpoints
  2. Homeoffice unter besonderer Berücksichtigung der IT-Sicherheit
  3. Investitionsdrosselung und Sparprogramm
  4. Zahlungsziele mit Lieferanten und Geldgebern neu verhandeln
  5. Kurzarbeit und Abbau von Überstunden
  6. Beantragung von Staatshilfen und Erhöhung der Kreditlinie, Steuerstundung
  7. Interne und externe Krisenkommunikation mit den Stakeholdern
  8. Angebotsmodifikation mit Suche nach digitalen und mobilen Erweiterungsmöglichkeiten für das bestehende Geschäftmodell
  9. Aufbau alternativer, lokaler Wertschöpfungsketten
  10. Führung in der Krise durch virtuelle Präsenz, Coaching und Mediation.

 

Die Welt der Wirtschaft, wie wir sie bislang kannten

Wer es geschafft hat, die notwendigen und möglichen Ziele des Krisenmanagements umzusetzen, sollte die Sinnhaftigkeit alltäglicher Prozesse überprüfen, um die eigentlichen Ursachen der Krise zu bekämpfen. Verfolgt das Unternehmen die richtigen strategischen Prioritäten und verwendet es zweckmäßige Maßstäbe?

Wir haben uns daran gewöhnt, in kurzfristigen Erfolgen zu denken. Es lebe das Prinzip des Shareholder Values! So hat das Primat der Ökonomie vor der Coronakrise selbst vor Einsparungen im Gesundheitssektor nicht Halt gemacht. Die Konzentration auf Kernkompetenzen und das Outsourcing ganzer Industriestandorte an preiswerte Werkbänke in Fernost hat zu riskanten Abhängigkeiten in globalen Wertschöpfungsketten und der ungewollten Förderung neuer Wettbewerber durch zwangsweise Offenlegung des eigenen Know-hows geführt. Die Abwehrkräfte derartiger auf Lean Management getrimmter industrieller Monokulturen erweisen sich in der Krise als instabil. All dies wurde bislang mit ökonomischen Sachzwängen begründet: „Wenn wir es nicht tun, dann tut es die Konkurrenz.“

Und wenn doch eine Krise auftrat, wurde die eigene Systemrelevanz mit der schieren Größe des Betriebes herausgeputzt: „Too big to fail.“ Um eine solche Größe zu erreichen, ist Wachstum zum allein glücklich machenden Dogma erklärt worden. Je austauschbarer aber die konkurrierenden Angebote einer Branche sind, desto mehr entsteht ein globaler Hyperwettbewerb, der neben Preiskämpfen auch vor unfairen Instrumenten der Wirtschaftskriegsführung nicht zurückschreckt. Wer nicht aus eigener Kraft wachsen kann, schaut sich dann als ultima ratio nach Übernahmemöglichkeiten um. In einem solchen Umfeld des „Survival of the fittest“ ist die Berücksichtigung der Interessen Dritter nur ein notwendiges Übel, das mit dem eigentlichen Unternehmenszweck aber nichts mehr zu tun hat. Ein Dialog mit kritischen Stakeholdern auf Augenhöhe findet selten statt.

 

Aus „Shareholder Value“ wird „Public Value“

Wie könnte aber eine echte Out-of-the-box Alternative aussehen, welche die Bezeichnung „Paradigmenwechsel“ verdient? Krisen werden danach als neuer Normalzustand akzeptiert. Nicht die Ökonomie sondern der Erhalt und die Förderung der Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft könnten danach das Primat sein, an dem alle anderen Maßnahmen auszurichten sind. Kurzfristig sind dies insbesondere gesundheitliche Fragestellungen. Die Suche nach Lösungen gegen den Klimawandel und für Armutsbekämpfung oder Flüchtlingshilfen gehören aber genauso dazu wie auch die anderen in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen genannten sinnvollen Nachhaltigkeitsziele.

Ein alternativer „Public Value“ Ansatz geht davon aus, dass „Wertschöpfung“ erst durch „Wertschätzung“ und gesellschaftliche Akzeptanz entsteht. Welche Werte in unserem Land erfüllen diese Kriterien, um sie angesichts der knappen Ressourcen und den durch die Coronakrise zusätzlich aufgebürdeten Verantwortungen verstärkt umzusetzen?

Ein neues ökonomisches Paradigma muss keine Absage an die Globalisierung sein. Entscheidend dürfte aber sein, dass die Übertreibungen der vergangenen Jahrzehnte rückgängig gemacht werden z.B. durch die Aufrechterhaltung einer kritischen Masse an lokalen Zulieferern und dem Aufbau europäischer Wertschöpfungsketten. An die Stelle schlanker Strukturen könnten natürliche Organisationsstrukturen und Prozesse treten, in denen für alle relevanten Betriebsfunktionen stille Reserven und Betriebsersatzlösungen bereit gehalten werden.

Eine solche Absicherung geht einher mit einer Absage an zweistellige Gewinnmargen. Überhaupt wird an die Stelle kurzfristiger Erfolgsorientierung eine Kombination aus Langzeitplanung sowie einem Denken in Optionen und Generationen treten. Nicht die bestmögliche Entscheidung wird getroffen, sondern diejenige, die einem Unternehmen die größtmöglichen Handlungsoptionen bietet, um auf Unwägbarkeiten flexibel reagieren zu können.

 

Alternative Arbeits- und Organisationsmodelle New Work 2.0

Und was bedeutet dieser Paradigmenwechsel für den Einzelnen? Die Erste Hilfe Maßnahmen der Pandemie haben unsere bisherige Art des Arbeitens in Frage gestellt. Einige dieser Entwicklungen dürften auch langfristig beibehalten werden und unsere Art zu arbeiten nachhaltig beeinflussen. Beispiele:

  • Statt physischer Präsenz werden Homeoffice- und Telearbeitsplätze und statt einer großen Kernmannschaft zeitlich und inhaltlich begrenzte Projektaufgaben weiter an Bedeutung gewinnen. Das organisatorische Leitbild einer solchen Entwicklung entspricht einem Nukleus, an den je nach Bedarf die notwendige Anzahl flexibel verfügbarer Elemente hinzugeschaltet werden. Um diese hohe Verfügbarkeit auch in kritischen Phasen zu erzielen, muss aber auch schon zu normalen Zeiten einer personeller Pool vorgehalten werden.
  • Der Trend zu Mehrfachjobs mit unterschiedlichsten Herausforderungen wird weiter zunehmen. Aber auch unternehmensintern werden Geschäftsmodelle mit einem Wort „bunt“. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden statt Routinearbeiten verstärkt an Sprints für neue Projekte teilnehmen, die eventuell gar nicht zu Ende geführt werden. Ein Phänomen, das sich bereits heute bei Tech-Konzernen beobachten lässt.
  • Das Prinzip der Selbstverantwortung könnte bedeuten, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selber um neue berufliche Weiterentwicklungen kümmern müssen. Zugleich werden Inhaber ihre Belegschaft mehr am Unternehmenserfolg beteiligen oder sogar ein Management-Buy-out wagen.
  • Projektteams werden noch interdisziplinärer, branchenübergreifender, internationaler und diversifizierter bezüglich Alter und Geschlecht. Der Anspruch an die Führung komplexer, virtueller Teams steigt.
  • Je mehr elektronische Tools die Arbeit von Spezialisten unterstützen, desto wichtiger werden generalistische Schlüsselkompetenzen wie Team-, Krisen- und andere Kommunikationsfähigkeiten.

Wie ein Unternehmen auf die Krise reagiert, bleibt eine individuelle Frage. So bringen Start-ups, Mittelständler und Großkonzerne unterschiedliche Voraussetzungen für eine Zukunftssicherung mit. Entscheidend ist, dass wir alle die langfristigen Veränderungen in unserem Leben akzeptieren und nicht aus Angst vor dem Neuen versuchen weiter zu wirtschaften wie bislang. Ein Zurück in die alte Normalität gibt es nicht. Andernfalls könnte die nächste Krisenwelle das endgültige Ende der Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit ganzer Branchen bedeuten. Und alle unsere bisherigen Bemühungen, die Krise als Chance für grundsätzliche Reformen zu nutzen, wären dann vergeblich gewesen.

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